EVENTUELLES VORSPIEL In der Hauptstadt-Dependance der Dresdner Bank (31.12.2001)
Silvester-Gala. Die Dresdner Bank hat in ihre Niederlassung am Brandenburger Tor in Berlin geladen. Unter den 112 Gästen befinden sich auch der Botschafter der USA und sein Sekretär.
SEKRETĂ„R:
Voriges Jahr war hier mehr los.
BOTSCHAFTER:
Entschuldigung, haben Sie die 100 Dollar dabei?
SEKRETĂ„R:
Ja.
BOTSCHAFTER:
Die Deutschen würden sich freuen, wenn der Botschafter der USA in der »Stunde Null« eine 100-Dollar-Note eintauscht.
(nimmt vom Sekretär den 100-Dollar-Schein entgegen)
Was bekomme ich eigentlich dafĂĽr?
SEKRETĂ„R:
Immer noch mehr als 100 Euro.
Der Botschafter entfernt sich. Drinnen und draußen wird es lauter. »Prost-Neujahr«-Rufe ertönen, aber auch solche wie: »Auf das neue Geld!« und »Auf das neue Zeitalter!«Drei
Herren, alle mit Geldscheinen in der Hand, stimmen ein Lied an. Der Botschafter kommt währenddessen zurück.
BOTSCHAFTER:
Was singen die?
SEKRETĂ„R:
Das ist ein Schlager aus dem UFA-Film »Die drei von der Tankstelle«.
BOTSCHAFTER:
Wie sinnig. Und wer sind die Herren?
SEKRETĂ„R:
Links Herr Fahrholz, Chef der Dresdner Bank. Dann Herr Welteke, der Bundesbankpräsident. Daneben der Finanzminister, Herr Eichel.
Aber voriges Jahr – da waren Sie noch nicht hier – war mehr geboten.
BOTSCHAFTER:
Hier in der Dresdner Bank?
SEKRETĂ„R:
Nein, draußen auf dem Platz. Am Brandenburger Tor. Da wurden Tafeln hochgehalten mit Aufschriften wie »Für den Kampf aller gegen alle«, »Für die Unsterblichkeit der Gemeinheit«. Alles unter dem
Motto: »Mit uns ins neue Jahrtausend«.
BOTSCHAFTER:
Und Sie waren dabei?
SEKRETĂ„R:
Nicht von Anfang an. Ich war im »Adlon« und habe gesehen, wie sich ein Hotelgast den Leuten anschloß, die zum Brandenburger Tor zogen.
BOTSCHAFTER:
Ein Hotelgast?
SEKRETĂ„R:
Ja, mit einer Tafel, auf der stand: »Für die Dummheit«. Übrigens gab es im »Adlon« das gleiche Essen wie zur Jahrhundertwende davor: Hummer »Prinz Vladimir« ...
BOTSCHAFTER:
Wollen wir alles wiederholen?
SEKRETĂ„R:
Ja, wenn ich an die letzten Monate dieses Jahres denke. Und daran, wie mir einer aus dem Außenministerium in der Wilhelmstraße seine Solidarität versichert hat.
BOTSCHAFTER:
Wie denn?
SEKRETĂ„R:
Er sagte: »Seit dem 11. September verteidigen wir die Werte, mit denen wir ins dritte Jahrtausend zogen, auch mit der Waffe in der Hand.« – Ich hab’ mir nicht verkneifen können, zu fragen: »Welche
Werte?«
BOTSCHAFTER:
»Unsere gemeinsamen«, wird er gesagt haben ...
SEKRETĂ„R:
Und ich hab’ ihm gesagt: »Ich befürchte: Sie haben recht.«
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